Episode 13: Krankenhaus Führungslos

Der Text ist leider gerade führungslos.

Ich glaube nicht, dass es eine Branche gibt, in der die Führungsstrukturen und Führungspraktiken derart unklar und widersprüchlich daherkommen wie im Krankenhaus. Im Grunde ist Krankenhaus in der heutigen Struktur unführbar. Es ist die Organisation mit der wohl komplexesten Führungsstruktur der Welt. In dieser Episode werde ich die Gründe und Wirkungen für „Krankenhaus Führungslos“ diskutieren.  

Episode 13: Krankenhaus Führungslos
Episode 13 Krankenhaus Führungslos bei Spotify

Hallo und herzlich willkommen zu dieser 13. Episode von „das ist Lean Hospital.“ Es wird vielleicht die letzte Ausgabe vor den Weihnachtstagen. Ich möchte diese Zeit der Besinnung nutzen, um ein Thema zu eröffnen, das mich in der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte überrascht: Weil es praktisch nicht vorkommt. 

Es geht um Krankenhausführung oder vielmehr: um Krankenhaus-Nicht-Führung.

Ich glaube nicht, dass es irgendeine Branche gibt, in der die Führungsstrukturen und Führungspraktiken derart komplex, widersprüchlich und letztlich voller Verantwortungslosigkeit daherkommen wie im Krankenhaus.

Schaut man genauer hin, muss man konstatieren: im Grunde ist Krankenhaus in der heutigen Struktur unführbar. Krankenhaus Führungslos!

In dieser Episode möchte ich über die Gründe und Wirkungen diskutieren. Viel Vergnügen. Ich bin gespannt auf Ihre Reaktionen. 

Krankenhaus führungslos

Eine erfolgreiche Therapie beginnt mit der bedingungslosen Anerkennung der Realität. Eine dieser Realitäten lautet: Krankenhäuser sind faktisch unführbar.

Denn in letzter Konsequenz bedeutet Führen, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen und diese konsequent umzusetzen. Vor allem im Hinblick auf das große Zukunftsfeld Organisation weist Krankenhaus erhebliche Mängel auf. 

Organisatorische Entscheidungen werden nicht, zu langsam oder mit einer Kompromisslösung getroffen. Oft gilt das Recht des informell Stärkeren. 

Es setzen sich öfter persönliche Eigeninteressen durch oder es werden Kompromisse eingegangen, als dass sich die beste Entscheidung für das Unternehmen oder für den Prozess oder gar den Patienten oder die Mitarbeitenden durchsetzen würde. Kompromisse sind bekanntlich das, was keiner will. Auf Dauer kompromissgetrieben überleben kann man vielleicht in der Politik. Im Unternehmen bedeutet ständiger Kompromiss Stillstand oder Rückschritt.

Die Gründe sind vielfältig. Die Wirkungen auch. Beides werde ich in diesem Podcast zeigen. 

Die Gründe

In der Krankenhausorganisation existieren unendlich viele Machtzentren, mit wachsender Tendenz. Immer mehr Chefärztinnen und Chefärzte, diverse Pflegeverantwortliche in immer mehr Hierarchien, eine wachsende Anzahl von Berufsgruppen, Funktionen und externer Partner – alle in unterschiedlicher Leitungslinie. Wer ist in einer solchen Organisation noch wirklich verantwortlich für irgendwas? Wie kommt sie zu Entscheidungen? Bzw. Zu guten Entscheidungen. Wer trifft sie und wer ist dann zuständig dafür, die Entscheidungen umzusetzen? Aus meiner Sicht ist hier sehr vieles sehr unklar.  

Haben Sie sich einmal gefragt, wer für die Behandlung eines einzigen Patienten zuständig ist? Für seinen gesamten Verlauf? Oder konkreter: dafür, dass er in der kürzest möglichen Zeit behandelt wird? Stichwort Verweildauer?  

Ich stelle mir ständig die Frage und finde keine zufriedenstellende Antwort.

Die meisten sind der Meinung, primär verantwortlich seien der Chefarzt oder die Chefärztin der jeweils hauptbehandlungsleitenden Abteilung. Schließlich steht „Verweildauer“ sehr oft als Kriterium in ihren Zielvereinbarungen. Bei niemandem anders – außer dem Geschäftsführer bzw. der Geschäftsführerin vielleicht.

Als Verantwortlicher müsste der Chefarzt also über die Möglichkeit verfügen, maßgeblichen Einfluss auf diejenigen auszuüben, die daran mitwirken, dass das gesetzte Ziel erreicht wird. 

Auf die Mitarbeitenden anderer Berufsgruppen und die anderer Bereiche. Einfluss nehmen bedeutet in erster Linie: Entscheidungen treffen dürfen und die Macht und die Möglichkeit zu besitzen, diese Entscheidungen auch umzusetzen. Über diesen Einfluss verfügen Chefärztinnen und Chefärzte immer weniger.

Vortrag auf dem „lean around the clock 2019“

Ein kurzer Blick in die Geschichte

Werfen wir einen kurzen Blick zurück in die Historie von Krankenhausorganisation.

In der vermeintlich guten alten Zeit haben Chefärztinnen und Chefärzte den medizinischen und organisatorischen Ton angegeben. Alles richtete sich darauf ein, ihren Anweisungen zu folgen. Sie waren die wahren Kompetenzträger für Medizin und Verantwortliche für die Abläufe.

Pflege kümmerte sich um fast alles, ganz in diesem Sinne. Eine Diskussion darüber, wer Koch und Kellner war, gab es praktisch nie.

Irgendwann in der Geschichte betraten dann Verwaltungsleiter die organisatorische Bühne. Sie waren die – ja – Verwalter eben. Diese quengelnden Störenfriede mit ihren langen Kosten-Listen und den beständigen Ermahnungen, Geld zu sparen. Sie erstehen heute in diversen Krankenhausserien wieder auf. Stets kleinkariert. Stets nervig. Der eigentliche Chef waren und sind andere: der Chefarzt, die Chefärztin.

Eine im Grunde recht überschaubare, tripolare Welt, in der in letzter Konsequenz stets wenige, nämlich Ärztinnen und Ärzte, das Sagen hatten oder – in späteren Jahren – zumindest eine entscheidende Instanz geblieben sind. 

Es wurden organisatorische Entscheidungen getroffen. Es schien weitgehend klar zu sein, wer verantwortlich ist und der, der die Verantwortung vermeintlich trug, konnte meist dafür sorgen, dass diese Entscheidung umgesetzt wurde. Kraft Amt. Oder Kraft informeller Macht. 

Ob dabei in jedem Einzelfall die allerbeste aller möglichen Entscheidungen getroffen worden ist, das steht auf einem anderen Blatt. Bis dahin war die Führungswelt weitgehend in Ordnung. Zumindest aus der Sicht der Hauptakteure.

Diese recht überschaubare bi- bzw. tripolare Welt existiert längst nicht mehr. Die Anforderungen haben sich vollständig verändert. Die Bedingungen auch. Die Strukturen ebenso. 

Früher gab es nicht derart viele Chefärztinnen und Chefärzte. Die zunehmende Spezialisierung in der Medizin hat hier inflatorische Blüten getrieben.

Es existieren erheblich mehr funktionsorientierte Einheiten. Denken Sie an Reinigung, Catering, Einkauf/Logistik. Es gibt Dokumentationsassistenten, Sekretariate, Schreibdienste, Servicekräfte. Und so weiter. 

In größeren Organisationen unterstehen solche Bereiche getrennt voneinander agierenden Leitungshierarchien. Viele sind zentralisiert, manche direkt ganz outgesourct.

Krankenhäuser verfügen über Abteilungen für Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Fallmanagement, Hygiene, Abrechnung. Es gibt Organisationsstäbe, IT-Abteilungen und mehr.

Natürlich wird praktisch kein Patient nur von einer medizinischen Abteilung behandelt. Röntgen ist beteiligt, die Funktionsdiagnostik, das Labor, der OP, die Notaufnahme, die Sterilisation. Patienten werden verlegt. Es werden Konsile geleistet – manchmal durch externe Partner.

Die Eine-Million-Euro-Frage

Nun stelle ich ein weiteres Mal die eine-Million-Euro-Frage: 

Wer ist verantwortlich für die Verweildauer eines Patienten?
Wer ist verantwortlich für eine Station? Die Stationsleitung? Der Chefarzt? Und wenn ja, welcher, wenn wir über eine interdisziplinär belegte Station sprechen? Oder alle Leitungskräfte diverser Gruppen gemeinsam? 

Wäre es tatsächlich die Chefärztin: dann doch wohl nur für die ihr unterstehenden eigenen Ärztinnen und Ärzte. Alle anderen entziehen sich zumindest formal ihrem direkten, Einfluss.

Wer ist verantwortlich für den OP? Der „arme“ OP-Koordinator?

Und wenn es tatsächlich der OP-Koordinator ist oder – manchmal so geregelt – der Chefarzt der Anästhesie – auf wen kann er echten, formalen Einfluss ausüben? Im OP arbeiten Alphatiere diverser Abteilungen und unterschiedlichste Berufs- und Servicegruppen.

Notaufnahme das gleiche. Praktisch alle Notaufnahmen verfügen heute über einen hauptamtlichen Ärztlichen Leiter. Doch meist ist er Herrscher ohne personelles Reich. Die Pflege untersteht ihm nicht. Oft auch nicht die Ärzte, die von anderen medizinischen Bereichen Quasi geschickt werden.

Es wird deutlich: es gibt ein Problem. Im Krankenhaus sind immer sehr viele zuständig, aber niemand ist für irgendetwas abschließend verantwortlich. Die Folge: es kümmert sich auch niemand abschließend. Krankenhaus Führungslos eben.

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Geschäftsführung – ist sie zuständig?

Ich entdecke nur eine Personengruppe, die für all das wirklich zuständig ist und über den Einfluss verfügen würde, der für die Wahrnehmung echter Verantwortung notwendig wäre: das ist die Geschäftsführung. Oder – je nach Struktur – der Vorstand.

Doch selbst hier spalten wir heutzutage oft noch auf: in Vorsitz, in kaufmännisch, medizinisch und pflegerisch.

In kleinen bis mittelgroßen Krankenhäusern sitzt nicht selten eine einzige Person an der Spitze, von der zweifelsfrei behaupten könnte, dass sie für alles verantwortlich ist, weil sie die Einzige ist, die echte Verantwortung ausüben kann. Weil sie Entscheidungen treffen darf und formal über die Rechte verfügt, sie durchzusetzen. Der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführerin.

Eine Person.

Und selbst das lässt sich anzweifeln. Viele Geschäftsführer verlagern die Kernverantwortung für Medizin an ihre Chefärztinnen und Chefärzte aus. Sie wollen die ärztliche Behandlungsfreiheit respektieren.

Doch: Wo hört diese ärztliche Freiheit auf und wo beginnt die organisatorische Unfreiheit? Was ist Medizin? Was ist Organisation? Was ist ärztliche Entscheidung? Was ist eine Prozessentscheidung? Fast immer unklar.

Und wie viel wert ist die formale Macht eines Geschäftsführers zum Beispiel gegenüber seinen Chefärztinnen und Chefärzten? 

Fragen über Fragen!

Wer trifft Entscheidungen?

Wenn Verantwortlichkeiten unklar sind, stellt sich im Kontext von Organisation und Prozess unweigerlich die Frage: wer darf organisatorische Entscheidungen treffen? Täglich werden tausende organisatorische Entscheidungen getroffen, die eben nicht primär ärztlich-/medizinischer Natur sind. 

Jeder Arbeitsvorgang, jede prozessuale Verbesserung und jede organisatorische Regelung entsteht durch einer Entscheidung. Doch wer darf sie treffen? Wer trifft sie? Was kommt dabei heraus?

Wenn ich als Chefarzt einer medizinischen Abteilung verantwortlich für die Verweildauer eines Patienten gemacht werde, muss ich in der Lage sein, organisatorische Entscheidungen zu treffen, die sicherstellen, dass tagtäglich von allen so gearbeitet wird, dass Patienten in der vorgesehenen Aufenthaltszeit behandelt werden können.

Ich muss die Entscheidung treffen, wann das Schreibbüro einen Brief schreibt. Wann ein Konsil durchgeführt wird. Wann ein Patient seinen Ultraschall erhält. Ich möchte Einfluss auf die Arbeit des Sozialdienstes nehmen, der Pflegeplätze organisiert. Ich muss dazu sowohl im Einzelfall als auch generell Einfluss ausüben dürfen. Wenn nicht über diesen Einfluss verfüge, weil all diese Gruppen meinen Entscheidungen nicht folgen müssen, kann ich meine Verantwortung nicht wahrnehmen. Dann bin ich ein Frühstücksdirektor. Ein König ohne Reich.

Die Unzuständigkeit der vielen zieht sich konsequent durch alle Bereiche und Stufen des organisatorischen Geschehens. Entweder werden einseitige Entscheidungen getroffen, also meist informelle Machtentscheidungen, bei denen später oftmals unklar ist, ob sie umgesetzt werden. 

Oder man versucht Einigung zu erzielen und das Ergebnis lautet „Kompromiss“.

Kompromisse sind jedoch meist das, was keiner will. Kompromisse sind nicht per se schlecht. Unter solchen Bedingungen aber wird meist en Kompromiss erzielt, der niemandem eine wirkliche Anstrengung auferlegt, keinen schmerzhaften Verzicht auf etwas. Ohne Not bewegt sich niemand aus seiner eigenen Komfortzone. Vor allem nicht immer zu Gunsten einer anderen Gruppe.

Dieses Bild ist leider aktuell nicht auffindbar.

Der Roman beschreibt die Entwicklung eines ganz normalen Krankenhauses auf dem Land, das sich in kürzester Zeit aus dem engen Regiment eines börsennotierten Krankenhauskonzerns befreit und sich zu einem selbständigen, wirklich patienten-, versorgungs- und mitarbeitergetriebenen Krankenhaus entwickelt. Dieses Krankenhaus will anders sein als die anderen. Besser für seine Patienten und für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wirtschaftlicher. Es hat eine klare Idee von seiner Zukunft.

Der Hauptprotagonist des Romans, Felix Bender, ist Geschäftsführer eben dieses Melbecker Krankenhauses, als der Start-up-Milliardär Björn Meiersiek das Krankenhaus übernimmt. Dessen Ziel ist klar: den Grundstein für einen Krankenhauskonzern legen, der das Patientenwohl wieder in den Mittelpunkt stellt. Gemeinsam mit der Ärztin Luise Pickart macht er sich daran, das Unternehmen von Grund auf umzukrempeln. Felix Bender, in den traditionellen Sphären der Konzernkrankenhauswelt großgeworden, taucht, quasi über Nacht, ein in eine völlig neue Welt, in der die alten Regeln der Krankenhausführung auf einmal nicht mehr zu gelten scheinen. Er durchlebt im Eiltempo seinen ganz persönlichen Entwicklungsprozess, während er gemeinsam mit Luise Pickart und dem jungen Lean Manager Steffen Ganz seine Organisation konsequent neu erfindet.

Unter dem Strich

Deshalb ist Krankenhaus heute faktisch unführbar.

Niemand ist abschließend verantwortlich für den Patienten und für den Behandlungsprozess.

Selbst für Prozessausschnitte, wie beispielsweise OP oder auch Station, existiert keine eindeutige Entscheidungs- und Verantwortungsstruktur.

Selbst innerhalb der hierarchischen Linien existieren Brüche. Denken Sie an die Entscheidungswege Geschäftsführung – Chefärztinnen bzw. Chefärzte. Nebenbei bemerkt: wer führt eigentlich die Gruppe Chefärzte? Der ärztliche Direktor? Nebenamtlich?

Entscheidungs- und machttechnisch bedeutet das:

Krankenhausentscheidungen leben entweder von gruppenisolierten Entscheidungen quer zum Prozess der Behandlung, meist also zulasten des Gesamtprozesses, oder sie führen zu schmerzarmen Kompromissen. Oder sie resultieren daraus, dass sich machtvolle Einzelinteressen durchsetzen – mit ungewissem Ausgang für die Umsetzung von Entscheidungen.

Führung ist sowieso, bezogen auf die gesamte Palette von Führungsaspekten, kein leichtes Unterfangen. Ein Krankenhaus zu führen ist ein unmögliches. 

Worum geht es hier eigentlich?

Sie fragen sich nun, wo denn nun meine Lösung bleibt. Oder warum ich das Thema überhaupt aufmache, wenn ich keine Lösungen habe.

Nun. In diesem Podcast möchte ich tatsächlich keine Lösungswege aufzeigen. Ich möchte stattdessen die Diskussion über dieses grundlegende Dilemma eröffnen. Bewusstmachen fördern. Als erster Schritt.

Denn Führung begleitet mich heute in jedem Prozess der Veränderung. An irgendeinem Punkt wird Führung mit sicherer Regelmäßigkeit zu einem kritischen Thema. Ob ein Veränderungsprozess auf die Erfolgsspur gerät, entscheidet sich nämlich genau hier und daran, ob wir diese Führungskonstruktionsfehler beheben oder abmildern können. Nicht umsonst gilt die Wahrheit: Veränderungsprozesse sind immer Führungsentwicklungsprozesse.

Ich würde gerne erleben, dass das latente Krankenhausführungsproblem als reales Problem wahrgenommen und in der Breite diskutiert wird. Ich höre nicht selten Geschäftsführer über die diffuse Allmacht ihrer Chefärzte klagen. Oder über mangelnde Rückendeckung ihrer Aufsichtsräten. In solchen Fällen höre ich mir die Einzelbeispiele an und denke: okay, ein systemisches Problem. Siehe oben.

Ich erlebe Pflegedirektorinnen und -Direktorinnen, die sich über Chefärzte aufregen. Ihre Dominanz, manchmal Ignoranz gegenüber ihren Belangen. Oder sie beklagen sich über ihre Geschäftsführer. Ich höre mir die Einzelbeispiele an und denke: okay, ein systemisches Problem. 

Ich beobachte mit Interesse die Bemühungen der Pflege, ihre Bedeutung und ihren Einfluss auszuweiten. Ich verstehe das. Ich begrüße das. Doch: das wird die Situation nicht leichter machen. Systemisch gesehen verschärfen wir durch die Aufwertung von Pflege als Gruppe eben diese Gruppengrenzen und damit die Interessensunterschiede. Vermutlich werden Kompromisse in Zukunft weniger arztlastig ausfallen, was tatsächlich nicht so schlecht wäre. Doch wir lösen keinesfalls das zugrunde liegende, systemische Führungsproblem. Wir verschärfen es sogar.

Seit Jahren beobachte ich mit einem gewissen Stirnrunzeln, dass wir Prozesse in immer mehr Segmente filetieren, in immer mehr Gruppen und Verantwortlichkeiten aufteilen, immer mehr Schnittstellen entstehen lassen. Meist aus gut gemeinten ökonomischen Gründen oder aus Standesinteressen heraus. Was auf den ersten Blick oft richtig und billig aussieht, kommt uns aber aus der Gesamtprozesssicht jetzt schon recht teuer zu stehen. Es steht eben immer weniger der Gesamtprozess im Fokus, sondern mit wachsendem Einfluss die Optimierung jedes kleinen organisatorischen Puzzlesteins.  

Die Konsequenz lautet, dass alle widerspruchslos von sich behaupten dürfen, bestmöglich und billigst möglich zu arbeiten. Der Gesamtprozess ist aber längst nicht mehr bestmöglich und schon gar nicht billigst. Am Ende beurteilt der Patient den Gesamtprozess. Am Ende bezahlen die Krankenkassen den Gesamtprozess.

Ich registriere, wie unfassbar schwer wichtige organisatorische Neuerungen im Dickicht von Interessen steckenbleiben, weil niemand in der Lage ist, die gordischen Knoten durchzuschlagen oder die handelnden Akteure wirklich herauszufordern, sich aus ihrer jeweiligen Komfortzone zu befreien. Jedes Industrieunternehmen wäre längst ausgelöscht, würde es sich jedem wirklichen organisatorischen Fortschritt so konsequent entziehen.

Deshalb versuche ich den Prozessgedanken verstärkt in die organisatorische Wirklichkeit zurückzutragen. Auf der Ebene von Prozess- und eben auch auf der Ebene von Führungsstruktur.

Es wäre hilfreich, würden wir uns wieder mehr daran erinnern, aus welchem Grunde es überhaupt Krankenhäuser oder überhaupt Organisationen gibt. Weil das Endprodukt – also Behandlung und Gesundheit – eben nicht eine einzelne Person allein leisten kann. Wir benötigen viele und unterschiedliche Personen. 

Diese Personen müssen miteinander kooperieren und im Prozess organisatorisch harmonieren, damit aus den vielen Einzelteilen eine perfekte Gesamtleistung entsteht. Das Fundament einer Organisation ist Kooperation, nicht Konkurrenz.

Krankenhäuser sind nicht wirklich führungslos. Klar. Sie werden ja geführt. Sie entscheiden jedoch auf der operativen Organisationsebene weit machtbasierter, kompromissorientierter und schmerzloser, als sie es sich leisten sollten. Sie orientieren sich in ihren Entscheidungen selten an der Qualität des Gesamtprozesses. Und sie leisten sich viele Entscheidungen, die später keine Akzeptanz und damit keine Umsetzung finden. 

Da ist also noch sehr viel Luft nach oben.

Abspann

Das war es für heute. Ich bin gespannt darauf, ob mein Beitrag eine Diskussion über Führung im Krankenhaus auslöst. Zumindest eine kleine. Ich werde sie interessiert verfolgen und mich bei Zeiten einklinken.

Fürs Erste danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Versäumen Sie nicht, rechtzeitig ganz viele meiner Bücher zu bestellen. Meinen Lean-Roman Krankenhaus Melbeck oder auch mein neuestes Buch: das ist Lean Hospital. Noch werden Ihre Exemplare pünktlich zu Weihnachten unter Ihrem Baum liegen.

Bleiben Sie mir gewogen, empfehlen Sie diesen Podcast gerne weiter.

Eine schöne Restwoche, bis bald.

Ihr 

Jörg Gottschalk



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Copyright 2023 by Jörg Gottschalk, Berlin

3 Kommentare

  1. Hallo Herr Gottschalk, vielen Dank für diesen Beitrag, zu dem inhaltlich nichts hinzuzufügen ist.
    Das Problem der Führungslosigkeit von Krankenhäusern manifestiert sich aktuell in ihrem ganzen Umfang. Es gibt wohl keine Führungskräfte mehr, die als GF in einem Krankenhaus arbeiten wollen bzw. geeignet sind. In einem Bayerischen Krankenhaus konnte man den ausscheidenden GF nach 43! Bewerbungsgesprächen nicht ersetzen, sodass er sein Amt ein halbes Jahr neben dem neuen ausführen muss. Gestern habe ich gelesen, dass der GF von München Klinik angekündigt hat bald aufhören zu wollen, da dieser Job mit seinem Familienleben nicht vereinbar ist. Dabei ist wohl der alte Finanzdirektor vor kurzen in die Rente gegangen und der Aufsichtsrat eine „wackelige“ Position einer anderen Führungskraft im Konzern andeutete. Der „Verschleiß“ ist bereits ganz oben angekommen. Echt faszinierend ist, dass statt das echte Problem der fehlenden systemischen Unternehmensgestaltung und eben der Führungslosigkeit anzugehen, werden Symptome wie Personalmangel ganz heiß diskutiert.
    Nach dem Adams Third Law aus der Systemtheorie gestalten wir durch viele risikoarmen Subsysteme ein Hochrisiko-Gesamtsystem. Dabei steht der Begriff „Risiko“ für mich hier nur als Ausprägung der Prozessinstabilität und daraus resultierende Unführbarkeit. Diesen Weg betreten anscheinend viele Krankenhäuser. Es bleibt abzuwarten wann eine strukturierte, zielgerichtete Zusammenarbeit aller Abteilungen und Unternehmensstrukturen als der einzige Weg aus diesem Dilemma anerkannt wird.

  2. Hallo Herr Gottschalk,
    vielen Dank für den- wie immer- tollen Podcast. Danke, dass Sie das Thema Führung(-slosigkeit) ansprechen und zur Diskussion stellen.
    Ich hatte bis zuletzt auf Ihre Lösung gewartet und gehofft 😉
    Die Führung stellt meines Erachtens eines der Hauptprobleme der Krankenhäuser in Deutschland dar. Ja, so wie Sie es schildern, ist es… und noch schlimmer.
    Wir benötigen qualifizierte Führungskräfte an der Spitze der Unternehmen. Wir benötigen also nicht sehr gute Ärzte und Pfleger, die die Karriereleiter bis zur Chefarztposition unreflektiert durchlaufen oder Betriebswirte, die Zahlenführung nicht aber Menschenführung gelernt haben. Über den Inhalt qualifizierter, zeitgemäßer, zukunftsfähiger Führung ist genug geschrieben- wir wissen also wie es gehen könnte.
    Ich verstehe nicht, weshalb es keiner umsetzt. Kliniken verhindern nahezu jeglichen Ansatz von Veränderung, obwohl die Zustände nicht mehr tragbar sind.
    Das Gesamtsystem verteidigt sich auf allen Ebenen gegen Veränderung.
    Weshalb ist das so? Ich habe keine Antwort. Einzelne (dies sind inzwischen sehr viele), deren Leidensdruck groß genug ist, um Veränderung zu wollen, verlassen das System.
    Wo im Bereich Führung kann angesetzt werden um den Prozess der Transformation, der bereits begonnen hat anzuerkennen und in eine für alle Beteiligten (allem Voran die Patienten) wertschöpfende Richtung zu lenken?
    Auch ich habe nur Fragen und keine Lösung.

    • Hallo Frau Nothacker, vielen Dank für Ihren Kommentar. Auf viele Fragen habe ich auch keine rechten Antworten. Meine Antworten zum Thema Führung werden aber noch kommen. Versprochen. Herzliche Grüße Jörg Gottschalk

Ich freue mich über Ihren Kommentar.

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