Episode 11: Besprechungswahn

oder wie wir auf 50 Prozent aller Besprechungen verzichten können

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Ich habe einmal grob überschlagen, wie viel Geld Deutschlands Krankenhäuser allmorgendlich für ritualisierte Ärztebesprechungen ausgeben. Unter vermutlich sehr positiven Annahmen komme ich auf ca. 2,1 Milliarden Euro pro Jahr. Tatsächlich wird die Summe erheblich höher liegen, rechnet man die irre vielen Besprechungen jenseits von „Arzt“ mit hinzu. Anlass genug, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir dieses zeitraubende Ritual deutlich einschränken können. Sagen wir einmal: um 50 Prozent. Darum geht es in dieser Episode. Welche Besprechungen machen Sinn, welche schaffen echte Wirkungen für Patientinnen und Patienten, für die Organisation? Und wenn ja, welche Wirkungen eigentlich? Wenn wir über wenig Zeit verfügen, dann könnten wir diese Wenig-Zeit wenigstens sinnvoll verbringen.

Episode 11: Besprechungswahn.
Episode 11 Besprechungswahn bei Spotify

Hallo und herzlich Willkommen zur 11. Ausgabe meines Podcasts „das ist Lean Hospital“.

Ich habe einmal grob überschlagen, wie viel Geld Deutschlands Krankenhäuser allmorgendlich für ihre ritualisierten Ärztebesprechungen aufwenden. Unter vermutlich sehr positiven Annahmen komme ich auf ca. 2,1 Milliarden Euro pro Jahr. Tatsächlich wird die Summe erheblich höher liegen, rechnet man die irre vielen Besprechungen jenseits von „Arzt“ mit hinzu. Weil diese Zahl so hoch ist, wird auch dieser Podcast etwas länger als gewohnt.

Angesichts dieser Dimensionen stellt sich die Frage, welche Wirkungen Besprechungen tatsächlich auf die Leistungsfähigkeit einer Krankenhausorganisation ausüben. Welchen Wert schaffen sie? Vor allem für unsere Patientinnen und Patienten. 

Nicht nur die Summen, die Besprechungen verschlingen regen zum Nachdenken an, sondern auch die Tatsache, dass sich die allermeisten Beteiligten über den ritualisierten Besprechungswahn beklagen. Kaum jemand geht zufrieden aus einer solchen Sitzung hinaus.

Wenn es aber alle komisch finden, ineffektiv, ja teilweise langweilig und wir trotzdem viele Defizite unserer Organisationen nicht beheben können, was bringt dann das gesamte Besprechungsunwesen.

Diese Fragen möchte ich in dieser Episode aufgreifen und einmal der selbst aufgestellten Behauptung nachspüren, ob sich der Besprechungsaufwand nicht um mindestens 50 Prozent reduzieren ließe, ohne dass irgendetwas schlechter würde.

Ich bin mir sicher: die Antwort lautet Jaaa!

Besprechungswahn

Arzt-, Pflege-, Stations-, Abteilungs-, Verwaltungs-, Hygiene-, Arbeitssicherheits-, Projekt- oder Arbeitsgruppenbesprechungen. Der Vielfalt sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt. 5, 10, 20, 30 Menschen sitzen in einem Raum, hören zu, bearbeiten heimlich emsig ihre Laptops oder touchen sich durch ihre Smartphones. Meist redet nur eine Person oder alles zielt auf eben diese eine Person ab.

Kaum jemand empfindet derartige Treffen als besonders produktiv. Viele langweilen sich. 

Angeblich dienen diese Treffen der Information, dem Wissens- und Erfahrungsaustausch, manchmal der Lösungsfindung. Am Ende gibt es – meist mit zeitlicher Verzögerung – ein Protokoll, das kaum jemand liest, zumindest nicht bis kurz vor dem nächsten Treffen. 

Ich weiß, ich male ein recht düsteres Bild. Aber ich bin nicht der Einzige.

Ich glaube, es hat sich etwas eingenistet in unseren Organisationen, das wir für „normal“ und abstrakt „notwendig“ halten. Wir befinden uns in der Besprechungs-Normalitätstrance, in der wir nicht mehr hinterfragen, was wir da eigentlich tun. Welchen Benefit wir erzielen. Wir machen einfach.

Wir verbrennen Zeit und Energie, über die wir in unseren Organisationen längst nicht mehr verfügen. Eigentlich müssen wir Zeit sparen, Wirkungen erzielen und Ergebnisse abliefern. Stattdessen verbringen wir viel Zeit in Besprechungen, ohne uns über den Sinn, Unsinn und die vermeintliche Wirkung Gedanken zu machen. Wir machen es uns bequem, in dem wir Wahrheiten setzen. Wir müssen kommunizieren. Wir müssen Besprechungen abhalten.

Vortrag auf dem „lean around the clock 2019“

Fragezeichen, Denkblockaden und Rituale

Die wichtigste und gleichsam schwierigste Aufgabe in der Verbesserungsarbeit besteht jedoch genau darin, Fragezeichen hinter unsere Aktivitäten zu setzen, die wir täglich, immer schon oder auch nur deshalb tun, weil Führungs- und Leitungskräfte mit gewichtigen Mienen behaupten, sie seien unverzichtbar – quasi alternativlos.

Ohne Fragezeichen gibt es jedoch keine Verbesserung, weil alles so bleiben soll, wie es vermeintlich richtig und wichtig ist.

Sinnvoller wäre es, alles radikal zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu nehmen.

Was bringt die monatliche Abteilungsleitersitzung für die Behandlung unserer Patienten?

Was bringt unseren Patienten eine morgendliche Arztbesprechung mit 10 und mehr Ärztinnen und Ärzten?

Oder auch:

Welche Ergebnisse soll eine Besprechung bringen? Was ist genau ihr Benefit? Wer profitiert von ihr?

Erst wenn wir Fragen mit offenem Ergebnis stellen, suchen wir nach Antworten. Und befreien uns aus unserer Normalitätstrance und dem Stillstand.

Das Nicht-Weglassen-Können-Syndrom

Neben dieser Normalitätstrance, der Gewohnheit und unseren Glaubenssätzen existiert noch eine zweite Denk-Hürde. Ich bezeichne Sie auch gerne als das Nicht-Weglassen-Können-Syndrom.

Als Mensch in einer Krankenhausorganisation verhalten wir uns tendenziell risikoscheu. In jeglicher Hinsicht – und das ist vermutlich auch gut und richtig. Allerdings bedeutet das eben auch, dass wir nicht gerne etwas weglassen. Wir machen lieber von allem zu viel als zu wenig. 

Bei vielen Besprechungen beispielsweise kann zwar niemand nachvollziehbar sagen, was sie tatsächlich bewirkt. Allerdings – und jetzt kommt unsere Risikoaversion ins Spiel – wir wissen eben auch nicht, was passiert, wenn man sie einfach weglässt. Was wird fehlen? Worauf verzichtet man? Wir können es nicht sagen, deshalb lassen wir einfach alles beim Alten. 

Dieses Phänomen führt auch dazu, dass in Organisationen mit hartnäckiger Regelmäßigkeit immer neue Arbeit erfunden wird, ohne dass alte wegfällt. Es wird immer mehr, aber nie weniger.

Bevor wir also überhaupt über die Ziele, Inhalte und Effizienz von Besprechungen diskutieren können, müssen wir uns erst einmal aus der Normalitätstrance befreien und anschließend auch den Mut aufbringen, etwas wegzulassen. 

50 Prozent weniger und kein Wertverlust?

Als ich behauptet habe, man könne 50 Prozent aller Besprechungen ohne den geringsten Nachteil für die Organisation schlicht weglassen, werden Sie vielleicht mit Ihrer Stirn gerunzelt haben. Eine kühne Behauptung, oder auch eine völlig unrealistische These, werden Sie gedacht haben.

Tatsächlich handelt es sich hier um eine methodische Schliche, die Sie in der Verbesserungsarbeit praktisch an jeder Stelle einsetzen können. 50 Prozent sind keine Behauptung, sondern sie stellen eine sogenannte Setzung dar. Ich werfe irgendeine Zahl in den Raum. 20, 30, 50 Prozent. Was gerade halbwegs passt. Der Effekt ist erstaunlich. Von diesem Moment an schwirrt nämlich die Zahl 50 in ihrem Kopf herum, verschwindet nicht mehr und wenn Sie das Thema Besprechungsreduktion oder auch jedes andere angehen, werden Sie ihre Gedanken und Ergebnisse stets gegen diese Zahl spiegeln.

Sie werden sich immer wieder fragen, wie Sie auf 50 Prozent kommen sollen. 30 Prozent wären schon zu wenig – jedenfalls objektiv weniger als 50 Prozent.

Hätte ich dagegen die Frage gestellt, wie viel Prozent man wohl einsparen könnte, wären 10 Prozent vielleicht schon eine riesige Zahl. Die Konsequenz, mit der sie sich auf Lösungssuche begeben, wäre extrem eingeschränkt. Sie würden viel leichter gute Gründe für den Beibehalt eines Treffens finden. Das Ergebnis wäre in jedem Fall schlechter.

Den Aspekt der Setzung wollte ich hier mal einwerfen. Es passte gerade so gut.

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Besprechungs-Wirkungen

In der Lean-Denke wollen wir mit jedem Arbeitsschritt Wert generieren – Wert für unsere Patienten. Alle Aktivitäten, die direkt einen Nutzen für sie schaffen und die sie auch sehen bzw. erleben, gelten als wertschöpfende Handlungen. Außer der Visite am Bett bzw. im Beisein eines Patienten existieren demnach praktisch keine wertschöpfenden Besprechungen.

Die Striktheit mag sie irritieren. Ich bleibe aber dabei. Ich möchte Sie dazu animieren, radikal zu denken.

Eine Visite vor der Zimmertür oder eine patientenbezogene Besprechung wäre demnach keine wertschöpfende Tätigkeit – sie bekäme bereits das erste Fragezeichen. 

Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich sage damit nicht, dass man eine Visite zwingend im Beisein eines Patienten ausführen sollte. Es gibt gute Gründe, sie zumindest vor der Tür vorzubereiten. An diesem Punkt von Verbesserungsarbeit geht es nicht darum, abschließende Entscheidungen zu treffen. Es geht immer darum, Fragezeichen zu setzen, dann Handlungsoptionen zu finden, und anschließend Entscheidungen zu treffen.

Wirkungsfragen

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich ein Besprechungsskeptiker bin. Keine andere Form der Beschäftigung schluckt mehr Zeit bei gleichzeitig zweifelhafter Wirkung. 

Eine einstündige Besprechung mit 10 Personen verschlingt selbst unter vorsichtigsten Annahmen mindestens 20 Personenstunden. Diese 10 Personen müssen vor Beginn der Sitzung ihre Arbeit unterbrechen und sich auf den Weg machen. Ein paar Minuten vorher eintreffen. 

Sie nehmen ihre Arbeit auch nicht eine Minute nach dem Ende ihrer Besprechung wieder auf. Auch da wird es Zeitverzug geben. Eine Sitzung muss vorbereitet werden. Es wird ein Protokoll verfasst und – nimmt man die Funktion eines Protokolls ernst – dann muss es jeder Teilnehmende oder sogar weitere Personen lesen. 20 Stunden sind vermutlich stark untertrieben. Eine solche Besprechung dürfte Zeitkosten in Höhe von 1.200 – 2.000 Euro verursachen. Welcher Wert steht dem gegenüber? Das ist die Frage.

Am konsequentesten begegnet man der Thematik, wenn man das 0-Spiel spielt. 0-Spiel bedeutet, dass man sich folgende Frage stellt: Würde ich diese Besprechung in dieser Form heute neu initiieren, wenn es sie noch nicht gäbe?

Die zweite Frage lautet: Welches Problem möchte ich mit dieser Besprechung lösen? Was ist der Ziel-Zustand und wie kann ich erkennen, ob sie – also die Besprechung – das Ziel erreicht. 

Wir folgen also im Grundsatz der klassischen Kata-Logik, wie ich sie auch in meinem Buch „das ist Lean Hospital“ beschrieben habe und allen Verbesserungsteams wärmstens ans Herz lege.

Wir brauchen also ein Problem, ein Defizit. Etwas, das sich verbessern wird. In diesem Fall vermeintlich durch eine Besprechung.

Wir überlegen uns, wie eine solche Besprechung exakt gestaltet werden soll und wer daran in welcher Rolle teilnimmt.

Wir messen die Wirkung der Besprechung bzw. holen Feedback ein.

Versuchen Sie diesen Analyse-Zyklus einmal auf Ihre Besprechungen zu übertragen. Wenn Sie weder ein Problem definieren können noch die Wirkungen messen bzw. bewerten können, dann sollten Sie sich fragen, ob sie nicht per se auf sie verzichten können.

Das klingt zugegeben ein wenig wie ein Kochrezept. Doch so lässt sich gut ein Zugang zur Thematik schaffen.

Informationsprobleme

Die häufigste Funktion und damit Wirkungsabsicht einer Besprechung lautet: Information. Wir müssen uns oder unsere Mitarbeitenden besser informieren. Oft besteht das Problem in einem diffus festgestellten Informationsdefizit. Irgendwie weiß man offensichtlich nie richtig Bescheid. 

Meine Erfahrung nach dreißig Jahren Organisation lautet: das Problem ist nicht zu lösen. Jedenfalls nicht dadurch, dass man monatliche Besprechungen abhält. Entweder besteht ein konkreter, anlassbezogener Informationsbedarf, dann gibt es ein konkretes Informationsproblem. Existiert diese Konkretheit nicht, dann verschwendet man schlichtweg Zeit und schafft lediglich eine Feigenblatt-Pseudorunde, die zwar irgendein Gewissen beruhigt, jedoch wenig Wirkung schafft.

In unserer Kultur ist festverankert, dass Besprechungen die beste Möglichkeit bieten, um Menschen zu informieren. Vermutlich stammt diese Annahme aus einer Zeit vor hundert Jahren, als  kaum andere Medien existierten. Heute verfügen wir jedoch über beispielsweise flexible Printangebote, Audio- oder Videoformate und vieles mehr. 

Die Vorteile liegen auf der Hand. Sie sind individuell nutzbar, zeitlich flexibel konsumierbar und sie stehen, einmal produziert, einem deutlich größeren Anwenderkreis zur Verfügung. Sie sind skalierbar. 

Was wäre also, wenn ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin eine wöchentliche Audio- oder Videobotschaft produziert und unter die Leute bringt? Ich wende mich so direkt an alle und löse damit auch das Dauerproblem, dass Informationen, die nur über einen begrenzten Kreis an Menschen verteilt werden, praktisch nie an alle weitergegeben werden.  Auch dieses Problem scheint unlösbar. Das ist nur ein Beispiel für viele. 

Was ich sagen will. Es gibt sehr viele andere, deutlich effektivere Wege, um Informationen unter die Leute zu bringen.

Das bedeutet nicht den völligen Verzicht auf persönlichen Kontakt. Das bedeutet nur, dass reine Information eine sehr ineffiziente Nutzung von persönlicher Kontaktzeit bedeutet. Selbst dann, wenn einmal zwei Fragen gestellt werden. Auch das lässt sich anderweitig besser bewerkstelligen.

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Der Roman beschreibt die Entwicklung eines ganz normalen Krankenhauses auf dem Land, das sich in kürzester Zeit aus dem engen Regiment eines börsennotierten Krankenhauskonzerns befreit und sich zu einem selbständigen, wirklich patienten-, versorgungs- und mitarbeitergetriebenen Krankenhaus entwickelt. Dieses Krankenhaus will anders sein als die anderen. Besser für seine Patienten und für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wirtschaftlicher. Es hat eine klare Idee von seiner Zukunft.

Der Hauptprotagonist des Romans, Felix Bender, ist Geschäftsführer eben dieses Melbecker Krankenhauses, als der Start-up-Milliardär Björn Meiersiek das Krankenhaus übernimmt. Dessen Ziel ist klar: den Grundstein für einen Krankenhauskonzern legen, der das Patientenwohl wieder in den Mittelpunkt stellt. Gemeinsam mit der Ärztin Luise Pickart macht er sich daran, das Unternehmen von Grund auf umzukrempeln. Felix Bender, in den traditionellen Sphären der Konzernkrankenhauswelt großgeworden, taucht, quasi über Nacht, ein in eine völlig neue Welt, in der die alten Regeln der Krankenhausführung auf einmal nicht mehr zu gelten scheinen. Er durchlebt im Eiltempo seinen ganz persönlichen Entwicklungsprozess, während er gemeinsam mit Luise Pickart und dem jungen Lean Manager Steffen Ganz seine Organisation konsequent neu erfindet.

Miteinander-Kommunizieren

Ein häufig genannter Besprechungszweck lautet: wir müssen mehr miteinander kommunizieren. Gut, ich bezweifle generell, dass wir nicht genug miteinander kommunizieren. In keiner anderen Organisation wird viel miteinander telefoniert als in Krankenhäusern. Oder gemailt. Oder geredet. An Kommunikation kann es also nicht mangeln. Wahrscheinlich müsste man hier wohl eher die Frage diskutieren, ob wir über das Richtige sprechen. Oder: müssen wir überhaupt so oft miteinander telefonieren müssen. Aber das ist ein anderes Thema. Wir sprechen dann über latente Prozessprobleme. Stichwort: jeder Anruf repräsentiert ein Organisationsdefizit.

Generell bietet eine Besprechung selbstverständlich die Möglichkeit zur Miteinander-Kommunikation. Also zum miteinander sprechen. Informationen abgeben. Fragen stellen. Um Lösungen ringen. Also echte Gespräche. Echte bilaterale Kommunikation. 

Die meisten Sitzungen verlaufen jedoch völlig anders. 80 Prozent der Teilnehmenden schweigen. Eine Person spricht. Sie sendet. Vereinzelt gibt es einmal eine Frage, die der Sender beantwortet. Im Ausnahmefall ploppen kurze Debatten auf. 

Eine solche Runde bietet keine echte Kommunikation, sondern ähnelt eher einer Radiosendung, in der der Moderator vereinzelte Zuhörerkommentare entgegennimmt. Wenn Sie einmal  an einer typischen, monatlichen Verwaltungs-Abteilungsleitersitzung teilgenommen haben, dann wissen Sie, wovon ich spreche. 

Dann werden Sie auch ein anderes Phänomen gut kennen. Jeder Abteilungsleiter gibt reihum ein kurzes Statement ab und informiert die anderen Teilnehmenden über die aus seiner Sicht wichtigen neuen Entwicklungen, Entscheidungen oder aufgetretenen Probleme. 

Sie sprechen in die Runde zu allen, meinen aber vor allem den Geschäftsführer als Sitzungsleiter bzw. -leiterin. Hierarchien ziehen immer.

Jeder Teilnehmende weiß, dass in einer solchen Runden selten echte Probleme angesprochen werden, wenn es keine Not tut. Meist geht es letztlich um die persönliche Selbstdarstellung oder die Vermeidung der persönlichen Vernichtung. Die Informationstiefe ist gering. 

Würde man nach der Sitzung jeden Teilnehmenden dazu befragen, was sie aus der Sitzung mitnehmen oder was sie im Gedächtnis behalten haben, würde man erhebliche Erinnerungslücken konstatieren. Eine Stunde später würden aus Lücken eher Löcher. Die ohnehin geringe Wirkung verpufft praktisch vollständig.

Besprechungen als Pflaster

Häufig nehmen Besprechungen eine Pflasterfunktion ein. Ohne dass es den Beteiligten bewusst wäre. Ich heile nicht die Wunde, sondern klebe einfach etwas darüber. Visiten sind ein gutes Beispiel. Ich begebe mich auf dünnes Eis, deshalb nehme ich vorweg: ich finde Visiten sinnvoll und verstehe ihre Kernfunktionen: den medizinischen Diskurs. Und natürlich bedeuten Visiten Wertschöpfung, weil sie in der Regeln in Anwesenheit von Patientinnen bzw. Patienten stattfinden und für die eine wichtige Funktion erfüllen.

Was ist aber die Funktion der Pflege, wenn sie die Visite begleiten? Eine Pflegekraft verbringt bis zu 15 Prozent ihrer Arbeitszeit in solchen Runden. Ärzte wollen Pflegende beteiligen, weil sie sich wichtige Informationen über ihre Patienten erhoffen. Manchmal verstehen sie deren Beteiligung auch als sogenanntes „Signal“, ein Signal für Wertschätzung. Ein teures Signal, wie ich finde.

Pflegende nehmen teil, weil ihnen ansonsten wichtige Informationen über ihre Patienten verloren gehen. So sagen sie.

Und genau hier beginnt das Problem. Sie nehmen im wesentlichen teil, weil ihnen ansonsten Informationen fehlen. Ein nicht unerheblicher Teil von Arbeitszeit wird eingesetzt, weil etwas fehlt. Nicht, weil es um den Diskurs geht.

Würde eine perfekte, kontinuierliche und empfängerorientierte Dokumentation existieren, wären Anordnungen zeitnah korrekt im System oder hätte jeder Arzt bzw. jede Pflegekraft genügend Zeit, patientenbezogene Informationen für sich auszuwerten und zu nutzen, könnte dieser Teil von Visite schlicht entfallen. Alle Informationen stünden effizient und vollständig zur Verfügung. 

Wir produzieren durch große Runden oder  hier speziell die Teilnahme von Pflegenden viel Zeitaufwand für den Austausch von Informationen, die in jeder guten Dokumentation enthalten sein sollten. Anstatt die Ursache zu beheben, nämlich mangelhafte Dokumentationen, kleben wir das Pflaster „Besprechung“ darüber.

Einmal ganz abgesehen davon: auch hier könnten Sie die Teilnehmenden nach der Visite befragen, was sie sich gemerkt haben. Wir dürfen uns nichts vormachen. Wir produzieren hier enorme Risiken, weil wir auf eine detailorientierte und patientenbezogene Gedächtnisleistung setzen, die es in all dem Chaos heute schlicht nicht mehr gibt. Wir brauchen eine zeitnahe und perfekte Dokumentation, weil sich ansonsten viel zu viele Fehler einschleichen können.

Pflaster kleben wir übrigens auch auf eine Wunde in der allmorgendlichen Ärztebesprechung. Alle sollen über alles informiert sein. Über jeden Patienten. Eigentlich wäre das überflüssig, weil nicht jeder Arzt jeden Patienten betreut. Oder doch? Vielleicht, weil das allgemeine Chaos selten eine, transparent kontinuierliche Patientenbetreuung zulässt und es besser ist, wenn alle irgendwie alles mal gehört haben.  Könnte ja wichtig sein. Das Problem ist nur: es behält ohnehin kaum jemand. Zumindest nicht mit der notwendigen Verlässlichkeit und Sicherheit, wie wir sie in medizinischen Behandlungsprozessen zwingend erwarten müssen.

Das sind nur einige wenige Aspekte, die wir bei der Hinterfragung von Besprechungsritualen diskutieren könnten. 

Was ist das Problem?

Wie können wir es lösen?

Durch eine Besprechung? Oder durch die Ursachenbehebung? Oder gibt es einen deutlich effizienteren Weg?

Stattdessen heißt es allzu schnell: okay, lass uns das in einem Meeting klären. Aus einem werden 2 und dann 12. Weg ist die Zeit.

Sie könnten einmal all ihre Besprechungen auf diese Phänomene und andere hin untersuchen. Sie werden überrascht sein.

Kurzzyklische Besprechungsrhythmen

Unterm Strich können Besprechungen dann ein sinnvolles Setting darstellen, wenn sie zu einem spezifischen Thema zu einem echten Diskurs der Beteiligten führen. Wenn am Ende etwas Neues steht. Eine neue Idee. Eine Problemlösung. Eine Strategie. Oder ein verbindliches Committment zu einer konkreten Veränderung.

Eine weitere Funktion ist die, einen Orientierungspunkt zu setzen. Wenn ich weiß, dass am nächsten Tag eine Besprechung angesetzt ist, zu der ich konkrete Ergebnisse präsentieren muss, dann bedeutet die Sitzung für mich einen Zielpunkt, auf den ich gezielt hinarbeite. Je mehr solcher Orientierungspunkte existieren, um so disziplinierter arbeite ich täglich daran, das zu tun, was ich tun soll. Wenn Sie sich in meinem Buch „das ist Lean Hospital“ einmal das Kapitel Tagespläne ansehen, finden sie eine recht ausführliche Darstellung der Wirkungsmechanismen, die derartige organisatorischen Orientierungspunkte auslösen.

Solche Besprechungen, auf die ich hinarbeite und die dann – im Sinne von nächster Schritte – der Ausgangspunkt meiner folgenden Aktivitäten werden, müssen jedoch häufig und kurz erfolgen. Je seltener sie stattfinden und je langatmiger sie ablaufen, um so mehr verlieren sie ihre Wirkungen. 

Mit diesem Orientierungseffekt, der übrigens ein sehr starker sein kann, spielen alle agilen Verfahren. Im SCRUM finden daily meetings statt. Also jeden Tag. Die Inhalte sind wichtig, die damit automatisch auftretende Orientierungseffekt ist aber das Entscheidende.

Stellen Sie sich vor, das Verwaltungsteam trifft sich nicht monatlich in einer einstündigen Abteilungsleiterrunde, sondern wöchentlich für 15 Minuten an einem eigens dafür geschaffenen Geschäftsführungsboard. 

Jede Woche, kurz und knapp. Im Stehen. Was ist in der letzten Woche passiert? Was hat funktioniert? Was nicht? Was steht nächste Woche an? Zeit für Information. Zeit für kurze Diskurse. In kurzen Zyklen, damit wirklich etwas passiert. Protokoll überflüssig. Fest in der Routine verankert.

 Gibt es zwischen einzelnen Teilnehmenden etwas Konkretes zu besprechen, ziehen sich die Diskutanten im Anschluss zurück und langweilen nicht alle anderen. 

Generell möchte ich behaupten, dass monatliche oder noch weiter auseinanderliegende Treffen im Sinne von echter Wirkung höchst ineffektiv daherkommen. 

Erst abschaffen, dann effizienter werden

Sie werden vielleicht festgestellt haben, dass ich Ihnen bislang nicht mit den herkömmlichen Besprechungsverbesserungshinweisen gekommen bin, wie wir sie in der klassischen Ratgeberliteratur finden. „Besprechungen effizient gestalten“, oder so ähnlich. 

Ich verzichte auf diese Hinweise, weil es darüber bereits so vieles gibt, dass man mühelos nachlesen kann. Ich möchte Sie vor allem in diesem Podcast nicht dazu verführen, Überflüssiges nur effizienter zu machen. Ich möchte Sie dazu animieren, radikal zu denken und radikal zu handeln. 

Ich möchte, dass Sie auf Besprechungen verzichten. Eine Besprechung, die nicht stattfindet, muss nicht effizient gestaltet werden.

Erst dann, wenn Sie absolut sicher sind, dass eine Besprechung notwendig, richtig und im Sinne nachvollziehbarer Wirkung in die Organisation unverzichtbar ist, beginnt das Ringen um ihre Effizienz.

Wenn Sie nun richtig mutig an das Thema herangehen möchten, streichen Sie radikal alle Besprechungen aus ihrem Kalender. Zumindest gedanklich. Fangen Sie einmal bei 0 an, auf der grünen Wiese. Stellen Sie sich all die Fragen, die ich hier genannt habe und alle, die Ihnen noch einfallen. Spiegeln Sie Ihre Zeit und die Ihrer Mitarbeitenden nicht nur vor dem Nutzen, den sie erzielen, sondern auch vor dem Nutzen, den Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen erzielen würden, wenn sie sich nicht in dieser Besprechung befinden würden. Den Opportunitätsnutzen sozusagen.

Ich vermute, Sie werden viele Überraschungen erleben.Ein guter Tipp lautet, sich einmal ein authentisches, hierarchieunbelastetes Feedback von denjenigen einzuholen, die mit Ihnen in den vielen Runden sitzen. Wie schätzen die eigentlich die Wirkungen ein? Sie werden feststellen, dass Ihre persönliche Einschätzung häufig von derjenigen der Teilnehmenden abweicht. Im Guten wie im Schlechten.

Abspann

Es gäbe noch Vieles zu diesem Thema zu sagen. Ein großes und wichtiges, das uns viel Zeit kostet und damit eben auch viel Zeit sparen kann. Wenn man es konsequent angeht und sich nicht alleine darauf beschränkt, das was ist, nur ein bisschen effizienter zu machen.

Vielen Dank fürs Zuhören. Für Ihr Interesse. Wenn Sie mehr erfahren möchten, werfen Sie gerne einen Blick in meine Bücher zum Thema. In meinen Lean-Roman Krankenhaus Melbeck oder auch in mein neuestes Buch: das ist Lean Hospital

Empfehlen Sie diesen Podcast gerne weiter. Bleiben Sie mir gewogen. Bis zum nächsten Mal.

Ihr Jörg Gottschalk 



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